Der Wald im Raum Müllheim-Badenweiler, ein Wald in großer Gefahr
Rede Dr. Peter Gürth* anläßlich 100 Jahre Schwarzwaldverein Müllheim-Badenweiler, 1984
Die Wälder im Raum Müllheim-Badenweiler sind durch große Vielfalt gekennzeichnet. Sie reichen von 200m Meereshöhe unten am Rhein bis auf 1220 m am Schwarzwaldkamm beim Köhlgarten. Die mittlere Jahrestemperatur nimmt auf etwa 10 km Luftlinie von l0°C auf 5°C ab , gleichzeitig steigen die Niederschläge von etwa 700 auf 1900 mm je Jahr. Die Wälder am Ufer des Rheins stocken auf alluvialen Ablagerungen des Flusses. Ursprünglich war ihre Zusammensetzung durch die alljährlichen Überschwemmungen des Rheines bestimmt. Durch die Rheinkorrektur im letzten und den Bau des Seitenkanals in diesem Jahrhundert sank das Grundwasser weit tiefer als die Pflanzenwurzeln reichen. Das konnten nur wenige Baumarten wie Eiche, Akazie, Birke, Silber-und Schwarzpappel überleben. Der heutige Trockenwald am Rhein bildet vielfach eine undurchdringliche Wildnis mit Sträuchern und Schlingpflanzen. Es ist die Heimat vieler seltener Vogelarten wie z. B. Nachtigall, Wiedehopf und Eisvogel, seltener Schmetterlinge und anderer Insekten wie der Gottesanbeterin und auch seltener Pflanzen, insbesondere von Orchideen. Eine reguläre Forstwirtschaft wird nur in den Kiefernwäldern betrieben, die schwerpunktmäßig nach dem zweiten Weltkrieg als Umwandlung von ertragsschwachem Laubwald und von Ödland angelegt wurden. Eine wichtige forstliche Aufgabe ist die Rekultivierung der zahlreichen Kiesgruben und Deponien. Auf dem Leinpfad und dem Rheinaueweg des Schwarzwaldvereins wird eifrig gewandert und geradelt. In der Rheinebene, die geologisch gesehen von diluvialen Ablagerungen bedeckt ist, dominiert die Landwirtschaft. Wald gibt es hier nur in verschwindend geringem Umfang. Umso segensreicher war die Anlage von insgesamt rd . 40 km Windschutzstreifen, von Gehöfteinbindungen und von Gehölzen zur Wildhege.
An die Rheinebene schließt sich nach oben die Vorbergzone des Schwarzwaldes an. Das Grundgestein, zumeist Braunjura (Hauptrogenstein) oder auch tertiäre Gesteine, ist von einer mächtigen Lößauflage bedeckt. Auf den fruchtbaren Böden gedeiht der Markgräfler Wein und die Markgräfler Werteiche. Das Eichenholz aus den Eichen-Buchenwäldern der Vorbergzone ist zu einem Qualitätsbegriff geworden. Die besten Stämme werden alljährlich bei der Werteichensubmission in Müllheim als Furnierholz verkauft und bringen einen Erlös bis zu 6500 DM je Festmeter. Neben der Eiche und der Buche finden wir in den Laubwäldern der hügeligen Vorberglandschaft viele andere, zum Teil recht seltene Baumarten wie Esche, Ahorn, Linde, Kirsche , Esskastanie, Elsbeere, ja sogar Walnuss und Speierling. Die Bodenflora ist außerordentlich vielfältig, und auch hier gibt es Raritäten wie den blauroten Steinsamen, den Aronstab oder Orchideen mit insektennachahmenden Blüten. Für die Vogelwett sei stellvertretend der Pirol mit seinem charakteristischen flötenden Ruf genannt. Das Landschaftsbild wechselt immer wieder vom Wald zu Wiesen und Rebbergen. Das gefällt nicht nur dem Wanderer, sondern auch dem Wild. Mit etwas Glück wird man nicht nur einem Reh, sondern vielleicht auch einem Wildschwein begegnen. Den größten Anteil an der Fläche des Forstamtes Müllheim - nämlich 4000 von 6000 ha - hat der Bergwald. Oberhalb der Hauptverwerfung, der geologischen Grenze zwischendem Urgestein des Schwarzwaldes und den jüngeren Gesteinen der Vorbergzone , bedeckt er den West- und Nordabhang des Blauens, die Einhänge des Klemmbach-, Fliederbach- und Sulzbachtales und reicht hinauf bis auf die Höhen des Stockberges, der Brandegg und des Köhlgartens hinter dem Blauen. Weniger das wechselnde Grundgestein - Granit, Gneis, Porphyr, auch kulmisches Sediment - bestimmen die Bodenfruchtbarkeit, sondern die Himmelsrichtung und die Steilheit der Hänge. Von Natur aus überwiegend ein mehr oder weniger tannenreicher Buchenwald, bestimmen diese beiden Baumarten, zumeist als Mischwald, noch heute das Bild des Waldes. Seit etwa 1895 wird auf den trockenen, flachgründigen Süd- und Westlagen die Douglasie, eine nordamerikanische Nadelbaumart, mit großem Erfolg angebaut. Sie war vor der Eiszeit auch bei uns heimisch und ist also eine echte Spätheimkehrerin. Viel früher, nämlich bei der Aufforstung von Ödland und landwirtschaftlichem Gelände im beginnenden 19. Jahrhundert, also mit Beginn einer planmäßigen Forstwirtschaft, kam auch die Fichte in unser Gebiet.

Der Bergwald bietet dem Wanderer herrliche Möglichkeiten. Kräftige Aufstiege werden durch weite Blicke über Vorberge und Rheinebene hinüber ins Elsaß und zu den Vogesen oder bis Basel und zum Jura belohnt. Im Winter führen mehrere, viel benutzte Skiwege am Kamm entlang. Nicht nur das Herz des Jägers erfreut der seltene Anblick von Gams, Marder oder Auerhahn, der übrigens seit einigen Jahren nicht mehr bejagt werden darf. Der Baumfreund findet die stärkste Tanne des Landes mit über 40 Festmetern, aber auch knorrige Buchen und Eichen oder Bergahorne auf Fels und Geröll und darunter, neben den charakteristischen Hochstauden, auch Raritäten wie Felsenbirne, astlose Graslilie, Alpen-Johannisbeere und viele Farnarten.
Von den Wäldern um Müllheim und Badenweiler gehören 5000 ha ins Eigentum der Gemeinden, weitere 1000 ha sind Staatswald. Privatwald sind dagegen nur 300 ha. Der jährliche, nachhaltige Holzeinschlag beträgt etwa 25.000 Festmeter. Rund 60 Waldarbeiter und 10 Forstbeamte betreuen den Wald.
Unser heimischer Wald hält die Bodenkrume fest, er bürgt für ein ausgeglichenes Klima und für eine gleichmäßige Versorgung mit sauberem Bergwasser, er schützt aber auch die Thermalquellen unserer Kurorte. Steinschlag und Lawinen vermag der Wald in ihrer Gewalt ebenso zu bändigen wie Sturzregen und Hochwasser. Durchzogen von etwa 300 km Wandenwegen, vortrefflich ausgestattet mit Hütten und Rastplätzen und von mehreren Waldparkplätzen aus erreichbar, bietet der Wald den Menschen Ausgleich und Erholung nach harter Berufsarbeit. Neben heilkräftigem Wasser und köstlichem Wein ist der Wald das dritte große Angebot unserer weithin bekannten Ferien-und Kurlandschaft.



Im Jahr des 100-jährigen Jubiläums des Schwarzwaldvereins Müllheim, zu dem dieses Bild unseres heimischen Waldes gezeichnet wurde, lastet über diesem Wald eine unheimliche Bedrohung. Keinem aufmerksamen Wanderer kann es verborgen bleiben, wie vor allem in den höheren Lagen des Bergwaldes die Kronen der Tannen immer kürzer und dünner werden, wie die Fichten ebenfalls ihre Nadeln verlieren und die kleinen Zweige an den Seitenästen schlaff nach unten hängen lassen. An jungen Fichten und Tannen kann man aus der Nähe beobachten, daß die Nadeln sich zunächst goldgelb und dann rotbraun verfärben , bevor sie abfallen. Das sind Anzeichen des Waldsterbens, das nunmehr in ganz Mitteleuropa mehr oder weniger stark auftritt. Am Südwestabfall des Schwarzwaldes ist das Ausmaß der Erkrankung besonders groß, da die Wälder den vorherrschenden Winden aus dem Westen stark ausgesetzt sind. Es gibt heute genügend Hinweise, Beobachtungen und Beweise dafür, daß das Waldsterben durch die Belastung der Luft und der Niederschläge mit Schadstoffen, in erster Linie Schwefeldioxid und Stickoxide, aus Industrie, Hausbrand und Verkehr stammend, verursacht wird. Auch wenn die letzten Zusammenhänge noch nicht aufgeklärt sind, rasche Hilfe tut not. Sie kann nur in einer möglichst schnell en und möglichst gründlichen Verminderung der Luftschadstoffe bestehen. Noch immer sind die Maßnahmen und Absichten der Politiker zu zög ernd und zaudernd. Für viele Wälder, auch für viele ältere Bestände in den höheren Lagen unseres Raumes, werden sie zu spät wirksam werden. Der Schwarzwaldverein ist ein berufener Hüter von Wald und Landschaft. Über unserer berechtigten Festfreude steht die tiefe Sorge über den drohenden Verlust des Waldes und seiner Wohltaten für den Menschen. Wer es bei uns, wer es mit uns als Schwarzwaldverein ernst meint, muß die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft täglich von Neuern bestürmen:
"Helft unserem Schwarzwald schneller und besser"
Genauso muß jeder von uns bereit sein, selbst zur Hilfe für den notleidenden Wald beizutragen. Möglichkeiten gibt es durchaus. Das Merkblatt, das wir mit den Gemein den und Forstämtern zusammen in einer Auflage von 15.000 Exemplaren herausgebracht haben, nennt einige davon. Alle Haushaltungen im nördlichen Markgräflerland haben dieses Merkblatt erhalten. Wir händigen es auch den Besuchern unseres Blauenturmes aus.
*Dr. Peter Gürth, *1934 in Falkenau (im heutigen Tschechien), studierte an der Universität Freiburg im Br. Forstwissenschaft und wurde dort Ende der 70er Jahre außerplanmäßiger Professor für Waldbau. Überdies leitete er von 1972 bis 1998 drei Staatliche Forstämter im Schwarzwald. Sein besonderes Interesse galt der Wald- und Forstgeschichte.
